1994 kam ich zum ersten Mal mit dem Kanufahren in Kontakt. Gemeinsam mit Bernd, Jürgen und Jörg planten wir eine Tour in Kanada zu machen. Um nicht die ganze Ausrüstung am Rücken schleppen zu müssen (wie bei früheren Wandertouren in Norwegen) kam der Vorschlag eine Kanutour zu machen. Somit konnten wir uns auch in Sachen Ausrüstung und Proviant besser ausstatten, ohne zu sehr auf das Gewicht achten zu müssen.
Als Endziel stellte sich bald Dawson City heraus, da wir uns die Stadt des wohl bekanntesten Goldrausches gerne ansehen wollten. Da allerdings außer Jürgen keiner von uns Erfahrung von Kanufahren am Fließwasser hatte, ging es nun darum einen Fluss zu finden, der auch für Neulinge zu schaffen ist. Der "naheliegenste" Fluss im wahrsten Sinne des Wortes währe der Yukon gewesen, denn der fließt direkt durch die Hauptstadt des Yukon Territories -Whitehorse. Allerdings ist er damit auch einer der meistbefahrenen Flüsse und wählten lieber einen etwas entlegeneren Zubringer - den Pelly River.
Unsere Anreise startete in Wien über Frankfurt nach Vancouver. Hier hatten wir einen mehrstündigen Aufenthalt, bevor es am Abend mit der letzten Maschine nach Whitehorse ging.
Als wir Whitehorse erreichten war es bereits dunkel und wir schlugen kurzerhand unserer Zelte neben dem Flughafen auf. Tags darauf organisierten Bernd und Jürgen einen Mietwagen und wir richteten uns am Robert Service Campground gemütlich ein. Der Campingplatz liegt zwar am Stadtrand von Whitehorse, dafür aber in wunderschöner Lage direkt am Yukon. Nun ging es ans besorgen des Proviantes, Ausrüstung und Boote, sowie ans Organisieren des Transportes raus nach Ross River.
In Whitehorse gibt es schon damals genügend Hardware Shops und Kanu Ausrüster, aber sicherlich kein Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten. Nach Ross River wurden wir Up-North gebracht - ich dachte nicht, daß alles in diesem Pick-Up Platz findet!
Nun ging es hinaus nach Ross-River. Zuerst auf asphaltierter Straße bis Carmacks und dann weiter auf einer Schotterpiste bis nach Ross River. Das Gaspedal dürfte dabei festgeschraubt worden sein, dann auch wenn in den Kurven schon ein leichter Drift zu spüren war, es wurde weitergebrettert. Unser Einstieg war direkt unterhalb der jetzigen Fußgängerbrücke, die eigentlich für die ehemalige Pipeline errichtet wurde die Mitte des 20. Jahrhunderts hier entlang führte. Für Autos gibt es in der eisfreien Zeit eine Seilfähre.
Nach dem Ausladen stellte sich nun die Frage, wie passt die komplette Ausrüstung nur in diese 2 Kanus?
Hier nach dem Zusammenfluss von Upper Pelly und Ross River mäandert der Fluss durch ein breites bewaldetes Tal. Wir hatten einen sehr heißen und trockenen Sommer was den Vorteil hatte, dass wir große und langgezogene Schotterbänke fürs Camp vorfanden. Andererseits hatten wir zwar Sonnenschein, aber kaum strahlend blauen Himmel, da die Luft von vielen kleinen Waldbränden immer einen diesigen Rauchschleier hatte.
Da der Fluss stark mäandert, finden sich in den Außenseiten teils steile Sandsteinböschungen und es fallen auch immer wieder Bäume vom unterspülten Ufer in den Fluss und bilden sogenannte Sweeper. So nennt man Baumstämme, die knapp über der Wasseroberfläche liegen, oder bereits teilweise oder ganz in der Strömung hängen. Diese sollte man nicht unterschätzen, wenn man hier kentert ist die Gefahr groß, unter Wasser an den Ästen hängen zu bleiben. In der Flussströmung ist es dann unmöglich ohne fremde Hilfe wieder heraus zu kommen.
Da wir mehr als genug Zeit eingeplant hatten und Mehl einfacher zu transportieren ist als kiloweise Brot, wurde Brot und Gebäck von Zeit zu Zeit frisch gebacken. Dabei versuchten wir uns in diversen Techniken. Von Stockbrot über Brötchen mit Reflektorofen (hier wird Alufolie auf einen Rahmen gespannt und oberhalb der Teigfladen platziert, um die aufsteigende Hitze zu reflektieren), bis hin zum selbstgebauten Brotbackofen aus Flußsteinen - dieser wird über 2-3 Stunden im Inneren beheizt, dann die Asche herausgekehrt und die Teiglinge eingeschossen. Nun dauert es weitere 2 Stunden, bis die erhitzten Steine abgekühlt sind und fertigen Brote herausgenommen werden können.
Heizmaterial gibt es am Pelly mehr als ausreichend. Das Tal ist stark bewaldet und die sandigen Uferböschungen oft unterspült. Daher fällt bei Hochwasser immer jede Menge neues Holz in den Fluß, dass sich in manchen Biegungen zu gewaltigen "Logjams" ansammelt oder einfach auf den Kiesbänken liegenbleibt. So hatten wir auch immer Baumaterial für unser abendliches Lager mit einer Plane als Wind-, Sonnen- oder Regenschutz. Hier saßen wir dann am Lagerfeuer oft bis nach Mitternacht und ließen den Tag Revue passieren und erzählten unzählige Geschichten...
Eines Nachts bekamen wir ein weiteres - nicht erwartetes Highlight zu Gesicht - das Polarlicht. Hier verglühen elektrisch geladene Teilchen in der Atmosphäre und leuchten je nach Edelgas, auf dass Sie treffen in Farben von Weiß, Rosa bis hellgrün. Die Erscheinungsform reicht von kleinen leuchtenden Flächen bis hin zu sich wellenförmig bewegenden Schleiern, die sich von einem bis zu anderen Horizont ziehen können.
Aber diese technische Beschreibung kann in keinster Weise wiedergeben, welches Erlebnis dies für uns war - ich vergleiche es gerne mit dem Gefühl, wenn man als Kind das erste Mal vor dem Weihnachtsbaum steht.
Während des Tages legten wir auch immer wieder mal Pausen ein um unser Anglerglück zu versuchen. Es dauerte meist auch nicht lange, bis sich Erfolg einstellte. Am Pelly fingen wir Äschen, Hechte und andere, bei uns nicht bekannte Arten wie einen Inconou. Auch Lachse ziehen später im Herbst den Pelly rauf.
Zubereitet wurde sie wahlweise in Folie mit Salz und Knoblauch, als Steak mit Mehl und Paprika paniert oder als "Chili con Pelly Pike" mit Reis und scharf gewürzt.
Die Fischerlizenz kann man einstweilen sogar online besorgen.
Paddeltechnisch ist der Pelly ein richtiger Genussfluss. Etwa eine Tagesetappe nach der Brücke bei Faro sind im Bereich des Glenlyon Lakes die Fishhook Rapids, die je nach Wasserstand mit der engen Biegung und den damit verbundenen Wellen und Strömungsverschneidungen mehr Aufmerksamkeit verlangen. Bei wenig Wasser kann es aber auch vorkommen, dass man sie komplett übersieht und so gut wie kaum wahrnimmt. Die meiste Strecke fließt der Pelly gemächlich aber stetig und man kann sich auch mal gemütlich treiben lassen.
So lässt sich die Umgebung in vollen Zügen genießen und man kann alle Eindrücke einfach in sich aufsaugen.
Wer aufmerksam das Ufer beobachtet untdeckt auch mal alte verfallene Hütten von früheren Fischern oder Jagdcamps.
Wenn man ruhig am Wasser dahin gleitet und nicht lärmt sind die Chancen auch groß, das Tierleben zu Gesicht zu bekommen und im Bereich des Pelly ist das so ziemlich Alles, was man mit Kanada verbindet. Stachelschwein, Biber, Schwarzbär, Grizzly, Wolf, Elch, Seeadler, Falken, Gänse, Möwen, Seeschwalben und viele andere Wasservögel.
Doch an manchen Tagen - auch wenn man still ist, sieht man einfach nur - dass man NICHTS sieht. Aber nicht nur Nebel versperrte uns die Sicht, manchmal wurde uns auch von nahe gelegenen Waldbränden der Rauch um die Nase geweht. Mit Löschflugzeugen werden dann Erkundungsflüge gemacht, aber Feuer nur gelöscht wenn sie zu groß werden, oder in die Nähe von Siedlungen kommen. Ansonsten wird der Wald durch die Feuer verjüngt und es entstehen wieder wertvolle Wiesenflächen für Pflanzenfresser wie z.B. die Elche.
Kurz unterhalb der Einmündung des South Macmillan River beginnt der anspruchsvollste Teil am Pelly River, der sogenannte "Granite Canyon". Nach einer markanten Linksbiegung ändert der Pelly seine Fließrichtung nach Süden. Auf einer Länge von 12 km steigen stetig die Uferböschungen an, bis man sich in einem richtigen Canyon wiederfindet. Das Ende erkennt man an einer spitzen direkt im Fluß stehenden Felsnadel, dem "Needle-Rock". Kurz danach wendet sich der Flusslauf in einem Rechtknick nach Westen. Direkt in diesem Eck mündet der Needlerock Creek, an dem wir unser Lager aufschlugen. Der Schwierigkeitsgrad im Canyon variiert je nach Wasserstand I-II hauptsächlich sind auf einzelne stehende Wellen und im Bereich der Wände mit schnellen Kehrwassern zu rechnen. Bleibt man in der Hauptströmung sollte es aber leicht zu fahren sein.
Im letzten Viertel am Pelly ist bei der Ortschaft Pelly Crossing die letzte Möglichkeit etwas einzukaufen. Hier kreuzt der Highway 2 Richtung Dawson den Pelly und gleich neben der Brücke am linken Ufer befindet sich ein Geschäft, wo noch Proviant oder anderes nachgekauft werden kann. Danach geht es noch etwa 63km auf dem Pelly bis zur Mündung in den Yukon.
Die Mündung des Pelly in den Yukon ist direkt oberhalb des früheren Ortes Fort Selkirk das gegenüber am linken Yukon-Ufer liegt.
Die Indianer nutzten dieses Gebiet bereits tausende Jahre zuvor. Die Selkirk First Nation hat hier seit langem ihre Heimat, daher ist der Ort auch als archäologische Grabungsstätte von Bedeutung. Robert Campbell erreichte als erster Europäer 1843 das Gebiet, als er den Pelly hinabfuhr. Er war Angestellter der Hudson’s Bay Company und errichtete 1848 in der Nähe einen Handelsposten, der 1852 an den heutigen Platz verlegt wurde. Die Selkirk bezeichnete er als „Gens de Bois“, als Leute aus dem Wald. Sie selbst benannten sich nach einem Fischlager bei Victoria Rock als Thí Tsach'an. Die Tlingit fürchteten wegen der Ansiedlung der Hudson’s Bay Company um ihre traditionellen Handelsbeziehungen zu den athapaskischen First Nations und zerstörten das Fort noch im gleichen Jahr. 40 Jahre später wurde es wieder aufgebaut und entwickelte sich zu einem wichtigen Versorgungszentrum am Yukon. Dieser erreichte seine Hochblüte durch den Goldrausch am Klondike. Als Mitte des 20. Jahrhunderts der Klondike Highway, dessen Verlauf Fort Selkirk umgeht, gebaut wurde und der Yukon als Wasserweg an Bedeutung verlor, wurde der Posten aufgegeben.
Die Gebäude in Selkirk kann man jederzeit betreten und sich auch tagsüber darin aufhalten - zum Übernachten dürfen sie aber nicht genutzt werden. In einer der Hütten trafen wir auf eine Truppe aus dem Allgäu, die wir später in Dawson City wiedersehen werden. In der Nacht bei Selkirk hatten wir das erste Mal Frost während der Nacht und deutlich kühleres und herbstlicheres Wetter stellte sich ein. Auch paddeltechnisch mussten wir uns am Yukon umstellen - er fließt deutlich schneller und hat ein Vielfaches an Wasser wie der Pelly. Hier ist es unablässig, sich vor dem Anlanden gegen die Strömung zu drehen und dann mit seitlichem Versetzen das Ufer anzusteuern.
Am Yukon hat uns nun der Herbst so richtig im Griff mit kühlen Temperaturen, wechselhaftem Wetter aber dafür traumhafte Stimmungen in den schönsten Farben. Der Yukon ist breit und zum Teil durch Inseln in mehrere Arme geteilt. Die Wassertiefe ist dabei kein Problem, allerdings kann man sich durchaus aus den Augen verlieren.
Nach etwa 274km auf dem Yukon erreich wir dann unser Ziel Dawson City, direkt an der Einmündung des Klondike Rivers, an dem zu beginn des 20. Jhdt der Goldrausch stattfand.
Die Siedlung wurde 1896 zu Beginn des legendären Klondike-Goldrauschs gegründet und nach dem kanadischen Geologen George Mercer Dawson benannt, der die Region erforscht hatte.
Zu erreichen war Dawson nur über den White Pass oder den berüchtigten Chilkoot Trail und danach über einen langen und beschwerlichen Weg per Hundeschlitten oder Kanu, später per Schaufelraddampfer auf dem Yukon. 1898 hatte die Einwohnerzahl mit über 40.000 Menschen ihren Höhepunkt erreicht. Es war die größte Stadt westlich von Winnipeg und nördlich von Seattle. Schon ein Jahr später hatten 8.000 Menschen die Stadt wieder verlassen, 1902 lebten nur noch 5.000 Einwohner dort.
Unsere gemieteten Kanus wurden in Dawson deponiert und wir bezogen Lager im Campingplatz am linken Ufer, direkt nach der Anlagestelle der George-Black-Ferry. Hier trafen wir wieder auf die Gruppe Allgäuer, die samt Ihren Booten von Ihrem Ausrüster abgeholt werden. Nach einem Telefonat konnten Sie klären, dass wir auch noch im Platz hätten und so ersparten wir uns die Rückreise mit dem öffentlichen Bus.
Nach einem Zwischenstopp in Whitehorse ging es dann wieder Richtung Süden nach Vancouver, von wo aus wir noch 2 Wochen mit einem Van unterwegs waren, bevor die endgültige Heimreise nach good old Austria antraten.